Cabane des Vignettes, April, Ostern, Frühlingsanfang. Seit zwei Tagen stürmt und schneit es ohne Unterbrechung. Ich komme mir vor wie auf einem sinkenden Schiff. Das Personal ist schlecht gelaunt und demotiviert. Zur Suppe gibt es altes Brot mit zart grünen Schimmelpilzen! Und wir sitzen fest: bedingt durch das schlechte Wetter ist weder an einen weiteren Auf- noch an einen Abstieg zu denken.
Nur sitzen wir nicht auf einem vom Packeis eingeschlossenen Dreimastschoner, sondern auf der 3160 Meter hoch gelegenen Cabane des Vignettes in den Walliser Alpen. Alles ist kalt und feucht: die Räume, die Decken in den Lagern und mittlerweile auch unsere Bekleidung. Der Wind pfeift durch undichte Fenster und Türen. Nur meine Kameraausrüstung versuche ich, warm und trocken zu halten. Wie auf einem Adlerhorst steht diese berühmte Hütte hoch über zerrissenen Gletschern und Graten.
Ein Schönwetter-Hüttenpanorama: die Bouquetinsgruppe im Abendlicht, Walliser Alpen, Schweiz.
Mir fehlt noch ein guter Tag, um die Auftragsproduktion für einen Schuhhersteller abzuschließen. Für den kommenden Morgen verheißt der Wetterbericht ein kurzes Zwischenhoch. Ich hoffe auf die letzten wichtigen Skitourenbilder, …
Aufstieg zur Pigne d‘Arolla, ein Skitourendetail im Gegenlicht. Walliser Alpen, Schweiz.
… auf die sogenannten Keyshots. Schon vorab stelle ich die Kamera auf ISO 400, um schon im ersten Dämmerlicht aus der Hand fotografieren zu können. Gleichzeitig werde ich die meisten Aufnahmen unterbelichten müssen, um ausreichend kurze Verschlusszeiten zu erreichen …
Aufgrund von Kälte, Sturm und Erschöpfung benötigte ich für diese Aufnahme eine kurze Verschlusszeit (1/250 Sekunde). Bedingt durch ISO 800 und eine starke Unterbelichtung, zeigt die Aufnahme bei starker Vergrößerung ein unschönes Rauschen. Pigne d‘Arolla, Walliser Alpen, Schweiz.
Sie werden sich jetzt sicherlich fragen, warum ich dem Thema Belichtung ein ganzes Tutorial widme? Weil ich diesbezüglich (siehe Einleitung und Ende des Textes) selbst mehr als genug Fehler gemacht habe. Viel zu oft werden Kommentare gedruckt wie: „Digital ist die Belichtung eh egal“, oder „digital kann man doch alles korrigieren“. Dies stimmt leider nur zum Teil.
Wer „nur“ knipst mit dem Ziel, seine Mitmenschen mit kleinen Bildchen via Handy und Mail zu beglücken (oder zu belästigen?), kann die nächsten Absätze getrost überspringen. Dies ist auf keinen Fall abwertend gemeint: Ich knipse auch manchmal mit meinem Handy, spontan, verrückt und qualitativ anspruchslos. Aber gleichzeitig gibt es für mich nichts Schöneres als ein technisch hochwertiges, möglichst perfektes Bild, und genau dafür benötigen wir unter anderem eine ordentliche Belichtung.
Ein Bild mit ausgewogenen Tonwerten, Zeichnung in allen wichtigen Bereichen und vor allem stimmungsvoll - die Hohe Munde in den Mieminger Bergen, Tirol, Österreich.
Die Digitalfotografie bietet uns die entsprechenden Möglichkeiten dafür: Zum einen haben fast alle Kameras heutzutage einen LCD-Monitor mit bis zu drei Zoll Größe und bis zu 920.000 Pixel Auflösung. Das heißt, wir können jetzt tatsächlich den Bildaufbau, die Schärfe und die Schärfeverteilung des Bildes beurteilen. Gleichzeitig können wir über den Monitor ein weiteres geniales Hilfsmittel nutzen: das Histogramm. Wir können es jederzeit und zu jeder einzelnen Aufnahme abrufen und damit die Helligkeitsverteilung im Bild überprüfen. Es ist unser „digitales Polaroid“. In analogen Zeiten kamen nur Mittelformat- und Großformat-Fotografen in den Genuss eines Polaroidbildes, um unter anderem die Belichtung zu kontrollieren.
Was bringt uns das Histogramm konkret? Zum einen kann ich (zumindest meistens) falsch belichtete Aufnahmen korrigieren und wiederholen, zum anderen kann ich schon vor einer wichtigen oder schönen Situation eine Testaufnahme machen und die optimale Belichtung ermitteln.
Was zeigt das Helligkeits-Histogramm eigentlich an? Es ist vereinfacht ausgedrückt eine Darstellung der möglichen Tonwerte von 0 bis 255, vom absoluten Schwarz (am linken Rand) bis zum weißesten Weiß (am rechten Rand). Ideal ist das Histogramm und damit die Belichtung, wenn sich die Helligkeitswerte und damit die Kurve mittig verteilen und weder links in den Schwärzen noch rechts in den hellen Bildbereichen Informationen beschnitten werden.
Viele mittlere Tonwerte und nur wenig extrem helle oder extrem dunkle Bereiche machten die Belichtung bei dieser Aufnahme einfach. Sossuvlei, Namib Naukluft Park, Namibia.
Ein sehr ausgewogenes Histogramm mit „fast“ allen Tonwerten ohne beschnittene Bereiche.
Ehrlich gesagt kommt dieses Ideal jedoch nicht allzu oft vor. Werden links, also im Schwarz, Daten beschnitten, ist die Aufnahme unterbelichtet:
Dieses Histogramm steht für eine stark unterbelichtete Aufnahme. In schwarzen bzw. schattigen Flächen dürfte keine oder kaum mehr Zeichnung, d.h. Bildinformation vorhanden sein.
Werden rechts, also im Weiß, Daten beschnitten, ist die Aufnahme überbelichtet.
Das Histogramm für eine stark überbelichtete Aufnahme. Im Weiß bzw. den hellsten Bildflächen ist keine oder kaum mehr Zeichnung, d.h. Bildinformation vorhanden.
Bei einer unterbelichteten Aufnahme ist in allen schwarzen Flächen keine oder kaum mehr Zeichnung, was ja grundsätzlich noch kein Problem ist, im Gegenteil: Dadurch werden Fotografien durchaus spannender und kontrastreicher.
Obwohl in den schattigen Felsen im Vordergrund keine Details mehr zu erkennen sind, finde ich diese Aufnahme weder falsch noch zu dunkel belichtet. Im Gegenteil: Sie ist kontrastreich und spannend. Turnerkamp, Zillertaler Alpen, Tirol, Österreich.
Bei extrem kontrastreichen Motiven kann das Histogramm übrigens auf beiden Seiten beschnitten sein!
Mein Ziel ist es aber auch, den wichtigsten Helligkeitswerten gerecht zu werden. Sind mir zum Beispiel die Schatten einer Aufnahme sehr wichtig, achte ich konkret auf diesen linken Teil des Histogramms, um nichts zu beschneiden. Ist mir die Durchzeichnung der hellen Bildbereiche wichtig, achte ich darauf, am Histogramm rechts nichts zu beschneiden.
Bei dieser Aufnahme war mir die stimmungsvolle Durchzeichnung der Schnee- und Gletscherflächen wichtig. In der Sonne dagegen ist Zeichnung unmöglich. Macht nichts … Fineilspitze, Ötztaler Alpen, Österreich.
Ein sehr ausgewogenes Histogramm - bis auf das Spitzlicht Sonne am rechten Rand:
Es gibt jedoch gerade bezüglich Spitzlichter Ausnahmen: Hat man zum Beispiel bei einer Gegenlichtaufnahme die Sonne mit im Bild (ich empfehle hierfür starke Weitwinkelobjektive) ist es schier unmöglich, in die Sonne oder den Sonnenstern noch Zeichnung zu bekommen.
Bei einer ordentlich belichteten und konvertierten Aufnahme werden selbst große Schneeflächen schön durchzeichnet und strukturiert dargestellt. Nur im Spitzlicht Sonne ist auch bei diesem Bild jede Zeichnung unmöglich. Skitourengänger auf dem Gipfel des Torhelm, Zillertaler Alpen, Österreich.
Übrigens verwende ich das sogenannte RGB-Histogramm, das die Verteilung des Bildhelligkeitsgrades der einzelnen Primärfarben (RGB = Rot, Grün und Blau) anzeigt, so gut wie nie …
Der Plansee im Licht des Vollmondes. Trotz ISO 800 und Langzeitbelichtung ist kein nennenswertes Rauschen erkennbar. Um dieses Ziel zu erreichen, habe ich die Aufnahme leicht überbelichtet. Ammergauer Alpen, Österreich.
Problematisch wird es, wenn eine unterbelichtete Aufnahme mit höherer Empfindlichkeit (je nach Kamera und Sensor ab ISO 800) gemacht wurde. Meist ist das daraus resultierende digitale Rauschen unschön und störend.
Dies ist ein Ausschnitt einer 100%-Vergrößerung von Bild 11 (linkes oberes Eck). Diesmal jedoch unterbelichtet! Obwohl die Daten auf gleiche Art und Weise konvertiert wurden, ist das Rauschen im Himmel deutlich stärker.
Es hat nichts mit der kreativen Körnigkeit alter Schwarz-Weiß-Bilder zu tun. Es entsteht wie gesagt unter anderem durch die Kombination höherer ISO-Empfindlichkeiten mit Unterbelichtung, aber auch bei Langzeitbelichtungen. In welchem Maß das Rauschen auftritt, hängt ebenfalls von verschiedenen Faktoren ab: von der Qualität des Sensors, der Anzahl der Pixel in Relation zur Sensorgröße, der kamerainternen Software, der Länge der Verschlusszeit und der eingestellten Empfindlichkeit.
Zusammenfassend möchte ich festhalten: Um bei höheren ISO-Werten das Rauschen zu minimieren, sollte auf keinen Fall unterbelichtet, sondern eher sogar leicht überbelichtet werden. Falls bei sehr wenig Licht wirklich einmal eine bestimmte Verschlusszeit (Sportaufnahmen) erreicht werden muss (bei bereits voll geöffneter Blende), empfehle ich, eher mit der ISO-Empfindlichkeit noch weiter nach oben zu gehen, als die Aufnahme über die Belichtungskorrektur unterzubelichten.
Was bringt die kamerainterne Rauschunterdrückung? Bei manchen Kameras macht sie leider nicht nur das unerwünschte Rauschen platt, sondern auch so manche Bilddetails und feine Strukturen. Besser ist es, hier sogenannte Rauschfilter wie "Noise-Ninja" einzusetzen und diese über eine zusätzliche Ebene im Photoshop nur partiell, zum Beispiel im Himmel, in den Wolken, eben in markant betroffenen Flächen einzusetzen.
Aber auch der Faktor Zeit ist bezüglich Rauschen auf unserer Seite. Ich archiviere die RAW-Daten aller Aufnahmen auf Festplatte, externer Festplatte und Archivar-DVD. Sollte in ein paar Jahren die „geniale“ Rauschunterdrückungs-Software kommen, könnte ich betroffene Bilder nochmals, vielleicht deutlich besser, aufbereiten.
Zuletzt bleibt uns bei stark betroffenen Bildern nur noch eine Möglichkeit: sie nicht allzu stark zu vergrößern, ganz gleich ob Print, Abzug oder Projektion.
Das Matterhorn von seiner „unbekannten“ Westseite, Walliser Alpen, Österreich:
Cabane des Vignettes. Wie jede Nacht stelle ich mir den Wecker auf drei Uhr. Aber als ich diesmal das Fenster öffne, sind es nicht wie in den Nächten zuvor tanzende Schneeflocken, sondern funkelnde Sterne, die meinen Blick fesseln. Binnen Minuten sind wir auf den Beinen und suchen im Chaos des Massenlagers nach unseren Socken, Pullis und Rucksäcken. Nach einer Tasse Tee kleben wir im Licht der Stirnlampen die Steigfelle auf unsere Ski. Wenig später steigen wir auf Richtung Pigne d'Arolla. Der gefrierende Atem modelliert feine Reifkristalle an Haare, Bart und Bekleidung. Am Gipfelgrat empfängt uns ein kalter Sturm.
Eisiger Wintermorgen auf der Pigne d‘Arolla, Walliser Alpen, Schweiz.
Das Thermometer an meinem Rucksack zeigt gut 20 Grad minus an. Mit zittrigen Fingern stelle ich die Empfindlichkeit an meiner Canon 5D jetzt sogar auf ISO 800 und die Belichtungskorrektur auf minus 1,5 Blendenstufen (ein fataler Fehler!!). Das alles nur, um im Sturm und der Kälte auf möglichst kurze Verschlusszeiten zu kommen. Eine 1/125 Sekunde ist unter diesen Bedingungen das Mindeste, um die Aufnahmen im ersten Morgenlicht nicht zu verwackeln. An ein Arbeiten mit dem Stativ ist erst gar nicht zu denken. Bei allen Bildern steht das Histogramm auf Anschlag am linken Rand, es werden sogar Bilddaten beschnitten. Es fällt mir auf, aber ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was es bedeutet. Das Licht, die Landschaft, die Motive, alles ist so perfekt an diesem Morgen.
Zwei Tage später bin ich wieder zu Hause und beginne, nach einer heißen Badewanne, die Bilder zu konvertieren. Fast alle Aufnahmen dieser letzten, entscheidenden Tour sind total „verrauscht“. Ich bin völlig frustriert, schimpfe über die Digitalfotografie und suche nach Erklärungen. Leider lernen wir manchmal nur durch Fehler. Ich konnte damals das Histogramm noch nicht wirklich „lesen“, gleichzeitig „schwirrten“ alle möglichen digitalen Tipps und Arbeitsweisen durch die neue digitale Welt. Heute, das heißt nur drei Jahre später, sind nicht nur die Kameras deutlich ausgereifter, auch das Fachwissen um die neuen technischen Zusammenhänge ist deutlich gewachsen. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich dennoch manchmal das Gefühl, noch am Anfang zu stehen……
PS: Bei den Histogrammen handelt es sich nicht um die Original-Histogramme der Aufnahmen. Sie wurden nachträglich erstellt, um die Aussage klarer zu verdeutlichen.